Das Existenzrecht des Staates Israel

GEOPOLITIK

Alle Menschen haben das natürliche Recht, in Würde zu existieren, auch die Israelis – aber das ständig im Munde geführte Existenzrecht des Staates Israel kann ich nicht nachvollziehen.

Olaf Scholz hat einmal gesagt, Politik könne man nicht mit dem Geschichtsbuch in der Hand machen. Das ist das Problem. Unsere demokratischen Politiker treffen Ihre Entscheidungen ohne Kenntnis historischer Zusammenhänge, weil sie diesbezüglich scheinbar ahnungslos sind. Im Falle des Staates Israel können sie, mangels gründlicher Geschichtskenntnisse nicht erkennen, was Recht und Unrecht ist. Die Israelis stützen ihren Rechtsanspruch auf staatliche Entfaltung in Palästina grundsätzlich auf göttliche Verheißungen und die gewaltsame Landnahme in mosaischer Zeit. Sie glauben, auch in unserer Zeit zur räuberischen Landnahme berechtigt zu sein. Die formalrechtliche Begründung liefern die Vereinten Nationen.

Die Beurteilung, ob es Recht oder Unrecht ist, die gewaltsame Landnahme und Staatengründung in Palästina mit religiös begründeten Ansprüchen, dazu mit Zustimmung der sogenannten Staatengemeinschaft und nicht zuletzt auch mit der Judenverfolgung in Europa zu rechtfertigen, hängt unter anderem vom Bildungsgrad des Betrachters ab. Er muss die historischen Geschehnisse im Zusammenhang der Zeit von 1914 bis 1918 und deren geopolitische Folgen kennen und verstehen. Er sollte das Geschichtsbuch nicht nur in die Hand nehmen, sondern auch lesen und die Inhalte verstehen.

Aus meiner Sicht ist das Palästinaproblem auf den Ausgang des 1. Weltkrieges zurückzuführen. Genauer gesagt, auf die willkürliche Zerstückelung des Osmanischen Reiches.

Die Türkei, zu Anfang des 1. Weltkrieges noch neutral, musste durch die Angriffe der Engländer und Franzosen ihre Neutralität aufgeben und an der Seite Deutschlands am Krieg teilnehmen und war dann, ohne Schuld am Krieg zu haben, gezwungen, zusammen mit Deutschland zu kapitulieren. Die Feindmächte begannen sofort damit, große Gebiete von der Türkei abzutrennen.

Die als Kriegsbeute verstandenen Gebiete Syrien und Libanon, waren zunächst nur militärische Besatzungszonen der Siegermächte. Nach Gründung des sogenannten Völkerbundes im Jahre 1920 wurden die türkischen Wilajets Jordanien, Irak und Palästina den Engländern vom Völkerbund als Mandatsgebiet zur Verwaltung überantwortet.

So wurde Palästina britisches Mandatsgebiet.

An dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Mandatserteilung.

Auf welcher Rechtsgrundlage konnte der damals aus vielen europäischen und nicht- europäischen Staaten bestehende Völkerbund Mandate erteilen?

Mit welchem Recht konnte der Völkerbund über das Wohl und Wehe der türkischen Ländereien verfügen? Die Antwort ergibt sich aus dem Gründungsakt, der Teil des Versailler Unrechtsvertrages ist.

Der 1920 gegründete Völkerbund bestand ursprünglich aus 27 Staaten. Die Gründungsmitglieder waren Staaten, Alliierte und assoziierte Mächte, also ehemalige Kriegsgegner der Achsenmächte und deren Verbündete.

Der Völkerbund war eindeutig von den Siegermächten als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen geschaffen worden. Mit Hilfe des von ihnen dominierten Völkerbundes konnten sie die zunächst nur militärisch eroberten, zum osmanischen Reich gehörenden Gebiete formalrechtlich, scheinbar legal ihren geostrategischen Zielen entsprechend gestalten.

Die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 erfolgte auf der Grundlage eines Teilungsplanes der Vereinten Nationen. Wieder wurde dazu das, von den Engländern und Franzosen geschaffene Herrschaftsinstrument zur Scheinlegalisierung eingesetzt.

Unabhängig von der Unterstützung durch die Vereinten Nationen, beriefen sich die Israelis auf die Judenverfolgung im Dritten Reich und argumentierten, die Gründung des Staates Israel sei demzufolge eine historische Notwendigkeit.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein öffentlich ausgestrahltes Interview mit dem Iraner Ahmadinedjad. Sein deutscher Gesprächspartner fragte: Meinen Sie nicht, dass die Juden nach den Erfahrungen mit dem Holocaust ein Recht auf einen eigenen Judenstaat haben sollten? Der Iraner antwortete: Ja, aber das war ja nicht in Palästina! Der Sinn dieser Antwort ist klar. Warum sollen die seit 600 Jahren unter türkischer Hoheit in Palästina lebenden Araber für etwas bestraft werden, was in Europa geschah?

Wer nun glaubt, ich würde der Vernichtung der israelischen Bevölkerung das Wort reden, befindet sich im Irrtum.

Lest dazu den Aufsatz Alles in Einem von 2010.

Die Lösung der Palästina-Frage.

Der iranische Staatschef Ahmadinedjad soll gesagt haben, der Staat Israel müsse von der Landkarte verschwinden.

Wenn ein Staat von der Landkarte verschwindet, so muss das nicht zwangsläufig mit einer ethnischen Säuberung verbunden sein.


Nicht mehr auf der Landkarte als Nationalstaat mit Namen Israel verzeichnet zu sein, bedeutet zunächst lediglich, dass der gegenwärtige Status – die Rechtsform, in der sich die Juden auf der geographischen Fläche, die man unter dem historischen Namen Palästina kennt, mit dem Staatsgründungsakt vom 1948 etabliert haben, nicht mehr aufrechterhalten wird.

Darüber, wie die seitdem dort angesiedelten Juden behandelt werden sollen, ob sie genötigt werden sollen, das Land, in das sie, aus aller Herren Länder kommend, eingewandert sind, wieder zu verlassen oder ob man sie zum Bleiben einlädt, um mit denjenigen, die von dort vertrieben worden sind und zurückkehren, in friedlicher Gemeinsamkeit ein neues, anderes Palästina aufzubauen, ist damit nichts gesagt.

In einem Fernsehinterview wurde Ahmadinedjad vorgehalten, ob er denn nicht glaube, dass die Juden nach den traumatischen Erfahrungen mit dem Holocaust ein Recht auf einen eigenen Staat hätten, antwortete er lächelnd: „bale, amma in undja na bud!“ (ja, aber das war nicht dort! D.h., nicht in Palästina). Es war der einzige Satz, der in diesem Interview auf Farsi zu hören war. Was im Anschluss daran folgte, kam in deutscher Übersetzung.

Mit diesem übersetzten Text will ich mich gar nicht weiter auseinandersetzen, weil ich nicht weiß, ob die Übersetzung den Originaltext wirklich unverfälscht wiedergab.

Ahmadinedjad wollte zum Ausdruck bringen, was auch immer die Juden in Europa erlebt haben mögen, es hat nichts mit Palästina zu tun. Die Schlussfolgerung ist zwangsläufig. Er drückte damit aus, dass man aus erlittenem Unrecht resultierende Sühneforderungen anderen, an der zu Grunde liegenden Schuld völlig Unbeteiligten, nicht aufbürden kann. Jedenfalls nicht, ohne sich selbst ins Unrecht zu setzen. Ob die Juden ein Recht auf einen eigenen jüdischen Staat beanspruchen können oder nicht, kann dahingestellt bleiben.

Aus den Ereignissen, die unter dem dogmatischen Begriff ›Holocaust‹ subsumieren, lässt sich bei vernünftiger und gerechter Würdigung jedenfalls kein Recht auf die Inbesitznahme Palästinas und die Errichtung eines jüdischen, als internationales Rechtssubjekt bestehendes Staatengebilde ableiten. Die stets zur formalen Rechtfertigung herangezogene Belfort-Deklaration kann wegen der nicht vorhandenen Berechtigung über den Besitz des palästinensischen Volkes zu verfügen, keine ausreichende Rechtsgrundlage für die israelitische Staatsgründung abgeben.
 Die deutsche Bundesregierung erkennt im Verein mit den übrigen Staaten, der sogenannten westlichen Welt, den auf palästinensischem Boden gegründeten Staat Israel völkerrechtlich an und bezeichnet das Existenzrecht Israels als unverhandelbar. 
Wer aber das Existenzrecht des Staates Israel bedingungslos anerkennt, muss sich sagen lassen, dass damit den Palästinensern rechtswidrig das Heimatrecht abgesprochen wird.

Es mag ja löblich sein, wenn die deutsche Regierung als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches die Beschädigung jüdischer Belange im Sinne einer Wiedergutmachung regulieren möchte. Dagegen würde ich niemals etwas einwenden, denn wem Schaden zugefügt wurde, dem muss man auch das Recht auf Schadenersatz einräumen. Der Schädiger oder auch dessen Rechtsnachfolger darf die Entschädigung aber nur auf seine Kosten, und nicht zulasten Unbeteiligter vornehmen.
 Genau dies ist aber bezüglich Israel der Fall.

Das „Judentum“, ich will es im hier vorliegenden Sachzusammenhang so nennen, weil es nicht um die Entschädigung einzelner, konkret geschädigter Personen geht, sondern um eine fiktiv angenommene Gesamtheit von Menschen, die zwar als Einzelindividuen nicht in jedem Falle geschädigt wurden, sich aber über das Medium des kulturellen und religiösen Beziehungsgeflechts dem Judentum verbunden fühlen, hat keinen vernünftig nachvollziehbaren Rechtsanspruch auf Palästina.
 Nun steht die jüdische Landnahme als Realität im Raum. Ein großer Teil der israelischen Bevölkerung ist bereits in Israel geboren. Die Juden können, vornehmlich aus religiösen Gründen, das an der arabischen Bevölkerung begangene Unrecht der Vertreibung nicht als solches erkennen. Ebenso wenig wie die Palästinenser einsehen können, dass sie das Anrecht auf ihre Heimat und auf ihr Eigentum an Haus und Hof, Grund und Boden verloren haben sollen.

Die von den Juden vertriebene arabische Bevölkerung besteht, ganz sicher zu Recht, auf ihr Heimatrecht und dem daraus resultierenden Rückkehrrecht. 
Demzufolge stehen sich beide Volksgruppen in hasserfüllter Feindschaft gegenüber.

 Was könnte nun die Lösung für das Palästina-Problem sein?

Es ist oft die Rede von einem eigenen Palästinenserstaat außerhalb Israels, also außerhalb des eigentlichen palästinensischen Kerngebietes.

Israel soll in gesicherten Grenzen auf dem eroberten Gebiet unangefochten weiter bestehen dürfen. Die Interessen der Palästinenser könnte man mit der Schaffung eines auf dem Boden Rest-Palästinas, das heißt, dem Westjordanland und den Gazastreifen beschränkten, selbstständigen Palästinenser-Staat befriedigen. Mit dieser nur einseitig zu Gunsten der Israelis entworfenen Konstruktion können sich die Palästinenser aufgrund ihrer tatsächlichen Rechte natürlich nicht abfinden. 
Was würden sie für die Aufgabe des palästinensischen Kerngebiets, das ihre Heimat ist, als Entschädigung erhalten? Nichts!

Was man ihnen zugestehen würde, wäre etwas, was sie sowieso schon haben, auch wenn sie dort nicht die vollen Rechte ausüben dürfen, aber immerhin handelt es sich um den von ihnen noch besiedelten Lebensraum.

Die einzig vernünftige, zugegebenermaßen schwer realisierbare, aber mögliche Lösung besteht darin, den Staat Israel zu Gunsten eines gemeinsamen palästinensisch-jüdischen Staates auf dem Gebiet Gesamt-Palästinas zu schaffen. 
Das bedeutet völliges Umdenken auf beiden Seiten. Es bedeutet großzügige Versöhnung der beiden verfeindeten Volksgruppen nach dem ›Tabula rasa‹-Prinzip, nicht zuletzt auch Schuldeingeständnisse, Entschuldigungen, Amnestien und gerechte Entschädigungen.

Ja, es wird schwer werden, aber es ist nicht unmöglich und es ist wahrscheinlich die einzige Lösung, diesen schon viel zu lange schwelenden Brandherd im mittleren Osten ein für alle Mal zu löschen.

Man sollte den Dirigenten Daniel Barenboim zum Chef des gemeinsamen arabisch-jüdischen Staates erwählen und es ihm überlassen, seine Regierungsmannschaft aus dem jüdisch-arabisch gemischten Personal seines Orchesters auszuwählen, weil sich dort Juden und Araber in toleranter freundschaftlicher Verbundenheit mit gegenseitigem Verständnis zusammengefunden haben.

Ich erwarte von meinen Lesern, dass sie die voranstehenden Ausführungen nicht allzu wörtlich nehmen, natürlich müsste es nicht Barenboim in Person sein und seine Minister müssten auch nicht dem Barenboim-Orchester entnommen werden. Ich wollte nur das Prinzip beschreiben. Das Prinzip, zur Staatsführung Menschen auszuwählen, die der chauvinistisch ausgelegten, anachronistischen Nationalidee abgeschworen haben und die in einem gemeinsam organisierten Unionsstaat die Menschen unterschiedlicher völkischer und kultureller Herkunft friedlich verantwortungsvoll regieren sollten.

Würden Juden und Muslemín den Staat auf dem Boden Palästinas, gleichberechtigt miteinander lebend, gemeinsam weiter aufbauen, könnte der innere und äußere Friede gesichert werden und nicht zuletzt auch Gewissenskonflikte obsolet sein, denn ich bin mir sicher, dass es zahlreiche verantwortungsbewusste Juden gibt, deren Gewissen durch die Behandlung, die man den Palästinensern angedeihen lässt, schwer belastet ist.

Warum sollte sich die Idee eines gemeinsamen Staates mit freiheitlicher Grundordnung, bei Wahrung völliger Gleichberechtigung für alle nicht verwirklichen lassen? Man sollte den fanatischen Ultras auf beiden Seiten nicht gestatten, das Klima weiterhin zu vergiften. Von einem jüdischen Intellektuellen stammt das Zitat: „Von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität“.

Übersteigertes Nationalbewusstsein ist ein Übel.

Wenn man den Weg zur friedlichen Gemeinsamkeit finden will, dann muss alles unterlassen werden, was das Ehrgefühl der einen oder der anderen Partei antasten könnte.
 Wenn es Streit um die Frage gibt, welchen Namen man dem künftig zu schaffenden neuen Gemeinschaftsstaat geben soll, dann könnte man ihn, um die Debatte darüber, was als erstes genannt wird, „Israelisch-Palästinensische Union“ oder „Palästinensisch-Israelische Union“, oder ganz einfach „Union Kanaani“ nennen. Damit könnten beide Volksgruppen einverstanden sein. Was die Zukunft bringen wird, wissen wir nicht, aber die Hoffnung auf bessere Verhältnisse als die gegenwärtigen dürfen wir nähren, auch wenn es eher düster aussieht.

Weil die Vernünftigen die Realitäten stets anerkennen, geht der gesamte Fortschritt von den Unvernünftigen aus. Zukunftsvisionen stehen immer gegen die Realität, trotzdem werden sie nicht selten zu einem späteren Zeitpunkt zur Realität.



Dieser Aufsatz ist vom 18. Februar 2010.

Wer mir etwas dazu schreiben will, gerne unter:

karl-heinz-hoffmann@gmx.com